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Rezension: Blood, Sweat and Pixels

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Als Kunden in der Welt der Videospiele sehen wir vor allem das fertige, hochpolierte Produkt, das wir idealerweise am angesagten Releasetag über eine Plattform für unser Spielgerät herunterladen oder - ganz klassisch - noch in einer Box im Laden kaufen. Was hinter den Kulissen während der Entwicklung passiert ist, welche Teams wie daran gearbeitet haben oder warum ein Spiel, das dank der damit verknüpften, weltbekannten Lizenz eigentlich ein Renner hätte werden müssen, plötzlich nicht mehr weiterentwickelt wird, erfahren wir als zahlende Kunden maximal durch die Spielepresse.

Meist nur dann, wenn es einzelnen Journalisten gelingt, genügend Entwickler, Kreative und Entscheider kennenzulernen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das kritischere Fragen und Einblicke in schwierige Momente zulässt. Einer dieser Journalisten ist Jason Schreier, derfür das amerikanische Gaming-Onlinemagazin Kotaku.com arbeitet und regelmäßig Insiderinformationen von an der Entwicklung verschiedener Spiele beteiligter Menschen erhält, die er dann für das geneigte Publikum journalistisch aufarbeitet.


Aufmerksam auf Jason Schreier wurde ich durch einen seiner Insider-Artikel zur Entwicklung von "Anthem", der die nahezu siebenjährige Entwicklungsgeschichte mit wenigen Höhen und sehr vielen Tiefen nachvollzog. In seinem Buch "Blood, Sweat and Pixels" liefert Schreier allerdings noch weitere Einblicke in die Entwicklung sehr namhafter Titel wie beispielsweise "Dragon Age: Inquisition", "Pillars of Eternity", "Halo Wars" und auch des leider gecancelten "Star Wars 1313".
Ganze zehn Hintergrundstorys in einem auch für Nicht-Muttersprachler gut verständlichem, klar formulierten Englisch präsentiert der Autor den geneigten Lesern und Leserinnen auf 304 Seiten.

Dabei begleitet Schreier sowohl Ein-Mann-Einzelkämpfer wie den Entwickler Eric Barone, der im Alleingang die Indie-Perle "Stardew Valley" auf die Beine stellte, als auch durch Kickstarter-Kampagnen finanzierte Spiele wie "Shovel Knight" und Teams weltbekannter Spieleschmieden wie Blizzards "Diablo III". Neben den bereits genannten Spielen werden in "Blood, Sweat and Pixels" auch noch "Uncharted 4", "Destiny" und "The Witcher 3" besprochen.

Schon die schiere Menge an prestigeträchtigen Titeln ist beeindruckend, aber gerade durch die Dichte an gewonnenen Informationen und strukturierten, nachvollziehbaren Aufarbeitung gewinnt "Blood, Sweat and Pixels". In jedem der zehn Kapitel verfolgen wir als Leser chronologisch die Entstehungsgeschichte des jeweils thematisierten Spiels und betrachten dank Schreiers Einblicken vor allem entscheidende Augenblicke, die für Entwicklung des Spiels wichtig und prägend waren. Bei vielen kleineren Entwicklerteams unterfüttert Schreier dies durch persönliche Informationen und Eindrücke auch aus dem Umfeld der Entwickler.

Bestes Beispiel ist hier die Hintergrundgeschichte zu "Stardew Valley", bei der ziemlich deutlich wird, dass Eric Barone ohne die Hilfe seiner Lebensgefährtin Amber Hageman nicht sonderlich weit gekommen wäre, da sie für den Lebensunterhalt des Paares sorgte, während er am Spiel arbeitete. Besonders spannend waren in diesem Kapitel jedoch die Momente, in denen Barone seine Reaktionen auf das Fanfeedback und persönliche Tiefpunkte während der langen Entwicklungsphase beschreibt, da diese während Pressemitteilungen und Updates nie wirklich zutage treten. Gerade wegen solcher Einblicke lohnt sich Schreiers Buch besonders, da man sich vieles schlicht auch einfach als externer Betrachter nicht vorstellen kann.

Schreiers Buch funktioniert für mich generell als harter Realitätscheck für viele überaus positiv klingende Mitteilungen verschiedener Entwicklerteams während deren Arbeit an neuen Titeln, die ja stets klingen, als wäre alles in Ordnung, alle Mitarbeiter glücklich und mit dem zufrieden, wie es läuft. Angesichts vermehrter Berichte über sogenannte, monatelange "crunch times" bei der Spieleentwicklung, während derer die Mitarbeiter teils über 100 Wochenstunden ableisten, um ein zur Veröffentlichung anstehendes Spiel überhaupt veröffentlichungsreif zu bekommen, fällt es ohnehin schwer, diese hochpolierten Jubelnachrichten zu glauben.

Auch Schreier thematisiert crunch in den verschiedenen Kapiteln, streift dieses Thema aber eher oberflächlich zugunsten der Gesamtgeschichte des jeweiligen Spiels. Hier hätte ich mir indes noch mehr Einblicke gewünscht, da es nicht genug Aufklärung über diese von Studio-Entscheidern oftmals schon von vornherein fix eingeplanten Phasen zu Lasten der Mitarbeiter geben kann. Schließlich kann sich nur dann etwas ändern, wenn die Beteiligten nicht nur stets still leiden müssen und eine breite Öffentlichkeit Druck auf die Verantwortlichen ausüben kann.


Abseits von crunch times gibt es jedoch genug andere Hindernisse für motivierte Entwickler, von denen Schreier dank seiner vielfältigen Kontakte viele in den einzelnen Kapiteln abbilden kann. Oftmals scheitert die Entwicklung nicht am mangelnden Einsatz oder Können der Entwickler, sondern an der Unentschlossenheit der Führungsspitze, fehlender oder schwieriger Finanzierung oder externen Entscheidungen, die von den Teams nur gering beeinflusst werden können. Auch die 'andere' Seite bei Kickstarter-Kampagnen wird in den Kapiteln zu über diese Methode finanzierten Spielen anschaulich und umfangreich beschrieben.

Als Leser und Leserinnen erhaltet ihr in "Blood, Sweat and Pixels" einen Rundumeinblick in die Gamesbranche, der durch den Untertitel "The triumphant, turbulent Stories behind how Video Games are made" ziemlich gut charakterisiert wird. Denn auch wenn neun von zehn Geschichten Erfolgsstorys sind, der Weg dorthin ist das Entscheidende - und diesen verfolgt der Autor in spannender Weise nach. Für mich hat sich die Lektüre wegen der Einblicke sehr gelohnt, nicht zuletzt, weil er den Menschen hinter der Entwicklung bekannter Titel eine Stimme und ein Gesicht gibt.

Diversitätscheck: Der Autor ist bei seiner Schilderung der Zustände in den verschiedenen Studios auf die Informationen beschränkt, die ihm Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie an der Entwicklung sonstwie beteiligter Personen gegeben haben. Da die Videospielindustrie derzeit einen hohen Anteil männlicher Mitarbeiter hat, sind die Quellen zu einem großen Teil Männer, was angesichts der Schilderungen aber weniger ins Gewicht fällt, da es im Gesamten um Entwicklungsgeschichten und weniger um die Geschichten einzelner Personen geht. Ein genauerer Blick auf seit gut einem Jahr vermehrt in der gamingnahen Presse diskutierten frauen- bzw. minderheitenfeindliche Zustände in den Studios unterbleibt vermutlich wegen mangelnden Bezuges zur den beteiligten Studios bzw. der jeweiligen Entwicklung.

Fazit: Lesenswerter Einblick in die Entwicklung verschiedener sehr bekannter Spieletitel, der durch die Hintergrundinformationen auch Laien einen guten Eindruck vermittelt. Neun von zehn möglichen Punkten.

Buchdetails:
Titel: Blood, Sweat and Pixels - The triumphant, turbulent Stories behind how Video Games are made
Autor: Jason Schreier
Buch-/Verlagsdaten: Harper Paperbacks, Taschenbuch, 05. September 2017, 304 Seiten, ISBN-13: 978-0062651235, 6,24 €

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